Interdisziplinärer Workshop am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut

Sensibilisiert Architektur die Menschen nicht nur ästhetisch, sondern auch ethisch? Und damit zusammenhängend: hat der Architekt die Wünsche seiner Auftraggeber und die Erwartungen der Gesellschaft zu erfüllen oder soll er diese – auch gegen ihren Willen – erziehen? Die Geschichte der Architektur und ihrer Theorie ist jedenfalls reich an Beispielen, in denen die pädagogische und ethische Dimension von Bauten und Programmen von Bedeutung ist. Von der Rhetorik etho-ästhetischer Harmonie und Proportion während der Renaissance, über die Monumente barocker Affektenlehre, die Reform von Architektur und Mensch im Geiste der Aufklärung oder der 'architecture parlante' der sogenannten Revolutionsarchitektur, hin zum Gesamtkunstwerk des Jugendstils der Jahrhundertwende, oder der Forderung nach "Einheitlichkeit und Geschlossenheit der Form" als Gegenmittel zur "wachsenden Nervosität unserer Zeit" (Peter Behrens, Kunst und Technik, 1910) reicht das Spektrum jener Überlegungen, die die Frage nach dem Verhältnis von Architektur, 'Ethos' und 'Paideia' aufwerfen. Das häufig damit zusammenhängende Ideal eines "Neuen Menschen", der durch die Kunst im Allgemeinen und die Architektur im Spezifischen zu einem neuen – auch moralischen – (Er)Leben angeregt werden sollte, war ein Kernanliegen des russischen Konstruktivismus, der De Stijl-Bewegung und des Bauhauses (Fritz Wichert, Die neue Baukunst als Erzieher, 1928). Dass dieses Ideal durchaus auch Schattenseiten in sich barg, die schnell totalitaristisch werden konnten, zeigt sich in der stalinistischen, rationalistisch-faschistischen und nationalsozialistischen Architektur-Pädagogik. Das zu deren Überwindung wiederbelebte Formdiktat der klassischen Moderne führte wiederum zu einer postmodernen Architektur der Förderung von Pluralität, Komplexität und Widerspruch, deren "Beliebigkeit" die Reaktion einer "kritischen Architektur" herausforderte. Und heute? Welche pädagogischen, ethischen und politischen Intentionen verfolgen Architekten heute, und auf welcher theoretischen Grundlage?

Die erste Jahresfrage des fünfjährigen, auf das Jubiläum des Jahres 2019 zulaufenden 'projekt bauhaus' lautete, "ob Gestaltung Gesellschaft verändern könne?" (Arch+ Nr. 222, 2015). Wir wollen diese Frage nach der transformatorischen Kraft künstlerischer Gestaltung, welche letztlich eine Frage nach ihrem ethischen und politischen Potential ist, auf die Architektur allein beziehen und auch die Frage stellen, inwiefern die Arbeit in der Architektur (und in der Philosophie) im Sinne Ludwig Wittgensteins eine "Arbeit an Einem selbst (…)" ist, "daran, wie man die Dinge sieht". Zugleich muss auch kritisch untersucht werden, inwiefern diese individualethische Position nur sinnvoll ist, wenn sie stets mitbedenkt, dass das Individuum mit seinem Denken und Handeln die Gesellschaft konstituiert beziehungsweise figuriert (Norbert Elias)?

Diese Zusammenhänge ermöglichen es, unter anderem über folgende Fragen nachzudenken: Mit welchem formalen und typologischen Vokabular wurden historisch und werden heute Denkprozesse ausgelöst, strukturiert und neu konfiguriert? Wie werden körperliche Bewegung, sinnliche Wahrnehmung und Erfahrung, Affekte und (ethische) Emotionen generiert, kanalisiert und schließlich modifiziert oder transformiert? Von welchem Menschenbild, welchen Begriffen (Schönheit, Symmetrie, Eurythmie, Proportion, Rhythmus, das Erhabene, das Malerische, die Aura, das Atmosphärische, etc.) und welchen Wahrnehmungstheorien (Affektenlehre, Einfühlungstheorie, Sinnesphysiologie, Psychophysik, Gestaltpsychologie, etc., bis hin zu neueren Ansätzen der Gehirn-, Emotions- und Konsumforschung) wurde ausgegangen, um die komplexe Relation von Architektur sowie Ethos und Paideia zu thematisieren? Der Workshop hat das Ziel, historische Fallstudien und aktuelle Positionen, Kunstwissenschaftler, Architekturhistoriker und Architektur-theoretiker wie Philosophen oder Psychologen etc. in einen gemeinsamen Dialog zu bringen.

Bitte senden Sie ein kurzes Exposé (max. 400 Wörter) und einen kurzen Lebenslauf bis zum 28. Februar 2017 an die Organisatoren Hana Gründler (gruendler@[at]khi.fi.it) und Berthold Hub (berthold.hub@[at]khi.fi.it). Die Auswahl der Beiträge erfolgt bis zum 15. März 2017.

Das Kunsthistorische Institut in Florenz – Max-Planck-Institut übernimmt die Übernachtungs- und Reisekosten gemäß den Richtlinien des Bundesreisekostengesetzes.