Marginale Zeichentechniken als ästhetische Strategie

Cennino Cennini’s metaphorical description of drawing as the “entrance and gateway to painting” provides an important indication of the purpose of drawing around 1400. Beyond its role in the execution of panel paintings, to the present day, drawing serves in the enhancement of motifs as a repository of alternatives and as ‘finger exercise’ for the development of routine manual dexterity – the prerequisite for a “free hand” (Albrecht Dürer).

Beyond the specific appreciation of “freehand drawing”, which reached a particular zenith in the eighteenth century, artists of all periods used different techniques for organising the drawing process, both materially and economically. They traced and pounced, made counter-proofs and impressions, and produced natural imprints and cliché verres. However, it would appear that the characteristics of such processes cannot be adequately explained in terms of the mere simplification of the process of creating a drawing. Instead, the aforementioned techniques or processes also served in the stimulation of the imagination, which was inspired, for example, by more or less random blots and smudges; similarly, cutting and pasting techniques contributed to the flexible arrangement of variations.

In view of the fact that such techniques generally assume a less prominent role in the study of drawing, as they also raise questions of quality for the art trade and collection history, it is intended to explicitly explore the functional and aesthetic importance of these marginal processes in case studies beyond the Alps during the period from around 1600 to around 1800. The aim here is to understand technical skill and versatility as a condition of creative and artistic-intellectual performance and to increase awareness of the correlation between theory and practice with a view, not least, to making the case for a greater focus on artistic-technical processes.

Possible key questions and issues in relation to the proposed sections include:

  • TRACING – VERSO: Which tracing techniques exist and what functions did they fulfil? What is the role of the reverse side of the drawing here? To what extent does the tracing process become visible in the drawing process? Is it covered during the further execution of the work or visually highlighted in other cases? Where does the upgrading of the tracing process become evident?
  • COUNTER-PROOFS – INVERSION: The question regarding the different techniques and functions of counter-proofs also arises here. How do the reproductive printing techniques relate to this? Which sensoria and semantizations were developed for the side-inverted image? How can these be embedded in terms of cultural history, also on the basis of documentary sources (workshop treatises, art criticism, literature)?
  • KLECKSOGRAPHY – RANDOM PROCESSES: As is generally known, Leonardo saw blots and cloud formations as a huge stimulus for the imagination. Artists resorted to processes that were only controlled to a limited extent to incorporate a certain principle of chance into the drawing process. However, these processes often only prove to be random on a superficial level: they were executed with extreme bodily motor skill and were intended to evoke a certain studied facility (sprezzatura). 
  • CUT & PASTE: The value of a treasury of motifs is particularly evident in the repeated use of models and patterns. Individual parts of a drawing could be cut out, stuck on and removed again for editing and checking a new draft. What are the artistic implications of such a procedure? And how can the cut & paste process be related to other techniques?
  • REPETITION – PALIMPSEST: Finally, it is planned to examine practices involving the repetition of drawings and the cultural-historical dimensioning of drawings as a palimpsest.

Please send an abstract (max. 500 words) and a short CV for a 20-minute presentation in German or English by 20 April 2018 to
marginalia at zikg.eu.

Travel costs (economy class) and accommodation in accordance with the provisions of the German Travel Expenses Act will be covered.

Scientific conception: Iris Brahms (Zentralinstitut für Kunstgeschichte Munich, Wallraf-Richartz-Museum Cologne), Thomas Ketelsen (Wallraf-Richartz-Museum Cologne), Ulrich Pfisterer (Institut für Kunstgeschichte der LMU, Zentralinstitut für Kunstgeschichte Munich)

Mit Cennino Cenninis metaphorischer Zuweisung des Zeichnens als „Schwelle zur Malerei“ ist ein wesentlicher Aspekt gegeben, zu welchem Zweck um 1400 gezeichnet wurde. Über die Anfertigung eines Tafelbildes hinaus dient das Zeichnen bis heute der Anreicherung von Motiven, als Speicher von Alternativen sowie als Fingerübung einer routinierten Handführung, die Voraussetzung zu einer „freien Hand“ (Albrecht Dürer).

Jenseits einer dezidierten Wertschätzung der „freien Handzeichnung“, die im 18. Jahrhundert eine besondere Blüte erreicht, bedienten sich Künstler zu allen Zeiten verschiedener Techniken, mit denen sich der zeichnerische Arbeitsprozess material- wie arbeitsökonomisch gestalten ließ. Es wurde ab- und durchgepaust, es wurden Gegendrucke bzw. Abklatsche genommen, es wurden Naturabdrücke und Clichè-verres hergestellt. Doch scheint sich die Bewandtnis solcher Verfahren nicht mit einer bloßen Vereinfachung des zeichnerischen Entwurfsvorgangs hinreichend erklären zu lassen. Vielmehr dienten die aufgezählten Techniken oder Verfahrensweisen darüber hinaus der Anregung der Fantasie, die beispielsweise auch durch mehr oder minder zufällige Kleckse beflügelt wurde wie Schneide- und Klebe-Techniken zur flexiblen Gestaltung von Variationen beitrugen.

Vor dem Hintergrund, dass solche Techniken in der Zeichnungswissenschaft gemeinhin eine geringere Rolle spielen, da sie auch für den Kunsthandel und die Sammlungsgeschichte Qualitätsfragen aufwerfen, sollen explizit diese marginalen Verfahren in Fallstudien über die Alpen hinweg für den Zeitraum von ca. 1600 bis ca. 1800 auf ihre funktionalen wie ästhetischen Belange hin hinterfragt werden. Ziel ist es dabei, technische Versiertheit als Bedingtheit für die kreative und künstlerisch intellektuelle Leistung zu verstehen und die Korrelation von Theorie und Praxis stärker ins Bewusstsein zu rücken, nicht zuletzt, um für eine erhöhte Aufmerksamkeit der künstlerisch-technischen Prozesse zu plädieren.

Zentrale Fragen und Problemstellungen können zu den vorgesehenen Sektionen lauten:

  • PAUSE – RÜCKSEITEN: Welche Techniken und Funktionen von Pausen gibt es? Welche Rolle spielt dabei die Rückseite der Zeichnung? Inwiefern wird das Pausverfahren im Zeichnungsprozess ersichtlich, bei der weiteren Überarbeitung verdeckt oder in anderen Fällen visuell hervorgehoben? Worin zeigt sich eine Aufwertung des Pausverfahrens?
  • ABKLATSCH – SPIEGELUNG: Auch hier stellt sich die Frage nach unterschiedlichen Techniken und Funktionen von Gegendrucken. In welcher Relation stehen dabei druckgraphische Techniken der Vervielfältigung? Welche Sensorien und Semantisierungen wurden für die Seitenverkehrung entwickelt? Wie lassen diese sich kulturhistorisch auch anhand von schriftlichen Quellen (Werkstatttraktate, Kunstkritik, Literatur) verankern?
  • KLECKSOGRAPHIE – ZUFALLSVERFAHREN: Bekanntlich sah Leonardo in Flecken und Wolkenformationen eine immense Anregung der Fantasie. Verschiedentlich griffen Zeichner zu bedingt gesteuerten Verfahren, um ein gewisses Zufallsprinzip in den zeichnerischen Prozess zu integrieren. Häufig erweisen sich diese Verfahren nur vordergründig als zufällig, während sie körpermotorisch äußerst gewandt ausgeführt eine besondere Leichtigkeit (sprezzatura) vor Augen führen sollen.
  • CUT & PASTE: Die Wertigkeit eines Motivschatzes zeigt sich augenfällig an der wiederholten Nutzung von Vorlagen. Zwecks Veränderung und Überprüfung eines neuen Entwurfs konnten einzelne Partien einer Zeichnung ab- oder ausgeschnitten, hinzugeklebt und wieder entfernt werden. Welche künstlerischen Implikationen gehen aus einem solchen Prozedere hervor? Und wie lässt sich das gerade das Verfahren des cut & paste in einen Zusammenhang mit anderen Techniken stellen?
  • WIEDERHOLUNG – PALIMPSEST: Abschließend soll auch auf Praktiken gezeichneter Wiederholungen sowie auf die kulturhistorische Dimensionierung von Zeichnungen als Palimpsest eingehen.

Bitte senden Sie für einen 20-minütigen Vortrag auf Deutsch oder Englisch Ihr Exposé (max. 500 Wörter) mit kurzem Lebenslauf bis zum 20.4.2018 an marginalia at zikg.eu.

Die Kosten für Reise (economy class) und Unterbringung werden gemäß den Vorgaben des Bundesreisekostengesetzes übernommen.

Wissenschaftliche Konzeption: Iris Brahms (Zentralinstitut für Kunstgeschichte München, Wallraf-Richartz-Museum Köln), Thomas Ketelsen (Wallraf-Richartz-Museum Köln), Ulrich Pfisterer (Institut für Kunstgeschichte der LMU, Zentralinstitut für Kunstgeschichte München)